Warum kann ich nicht rechnen?
Grundsätzlich ist es menschlich, eine Schwäche zu haben. Manche von uns haben Schwierigkeiten in der verbalen Ausdrucksfähigkeit, andere im kreativen, musikalischen Bereich oder manche wiederum in der feinmotorischen Koordination. So trifft es auch einige mit Schwierigkeiten, die mathematischen Kompetenzen betreffend. Menschen kommen mit einer angeborenen Intuition im Umgang mit Mengen auf die Welt. So wird bereits in einem frühen Alter der Grundstein für ein Talent oder eine Schwäche gelegt. Manche von uns verfügen über eine bessere Intuition als andere und können dadurch arithmetische Gesetzmäßigkeiten leichter und schneller verstehen. Schon sehr früh, im Vorschulalter zwischen 2-6 Jahren, lernen Kinder durch Beobachtung Mengen zu erfassen und korrekt zu benennen. Die Zähl-Prinzipien werden nach und nach verinnerlicht, die Kinder lernen also die korrekte Abfolge der Zahlen (d. h. nach 1 kommt 2, dann 3, usw.), aber auch, dass zu jedem gezählten Objekt ein Zahlwort gesagt werden muss, sonst ist das Zählen nicht korrekt. Kinder mit einer Dyskalkulie bzw. Rechenschwäche sind nicht sichtbar anders. Sie sind aber häufig an numerischen Informationen nicht oder nur wenig interessiert, spielen ungern würfelbasierte Brettspiele oder befassen sich selten mit Besonderheiten einer Menge. Dieses numerische Wissen hinkt im Vergleich zu Gleichaltrigen bei der Einschulung bereits weit hinter her. Auf diese Vorläuferfertigkeiten baut jedoch dann die gesamte Rechentechnik in der Schule auf. Wenn das Kind also noch nicht wirklich verstanden hat, dass die Menge 5 genau 5 Elemente erfasst, kann es nur schwer nachvollziehen, dass die Menge 5 aus verschiedenen Teilmengen zusammengesetzt werden kann. Die Schwierigkeiten wachsen stetig an, werden jedoch nicht unmittelbar sichtbar, da die Kinder die Probleme aufgrund ihrer Intelligenz noch eine gewisse Zeit ausgleichen können. Allerdings nur solange, bis eine Kompensation nicht mehr möglich ist und das Kartenhäuschen zusammenbricht. Dann wird eine spezifische Dyskalkulie-Therapie notwendig.
Numerische Vorstellung
Ein wichtiger Bestandteil des TIGRO Programms ist die Förderung der numerischen Vorstellung.
Was ist numerische Vorstellung überhaupt? Vorstellung kann als ein im Gehirn ablaufendes, nicht direkt beobachtbares Konstrukt gesehen werden, und stellt eine beeindruckende Leistung des menschlichen Denkens dar. Vorstellung ist unbegrenzt, sowohl zeitlich (d. h. es können sich vergangene Ereignisse oder auch zukünftige Wünsche vorgestellt werden), als auch auf die Realität bezogen (so können auch nicht reale Dinge (z. B. Fabelwesen) ins Gedächtnis gerufen und abstrahiert werden). Grundsätzlich unterliegt unsere Vorstellung einer enormen sensorischen Flexibilität und kann sich somit auf verschiedene Sinne beziehen (z. B. visuell, akustisch, sensorisch etc.). Vorstellung kann aber auch dazu dienen, sich etwas in Erinnerung zu rufen oder uns gezielt beim Denken und auf der Suche nach Lösungen unterstützen. Diesen Aspekt der unterstützenden Wirkung, vor allem der visuell-numerischen Vorstellung beim Rechenerwerb, möchten wir hervorheben.